San Franzisko

Von Santa Barbara aus fahren wir zunächst auf den Highway 101 in nördliche Richtung bis Morro Bay und begeben uns dort auf die Küstenstraße. Nachdem wir den Highway verlassen haben, schalten wir einen Gang zurück und lassen es ganz gemütlich angehen. Die Straße bleibt erst einmal auf Meereshöhe, führt uns an dem einen oder anderen Strand vorbei, streift Passagen mit Steilklippen und steigt schließlich hinauf auf die grünen, meist unbewaldeten Hügel. Obwohl der Oktober schon bald vorüber ist, kommt uns vom Meer eine angenehm milde Brise entgegen. Es scheint, als wolle die Sonne an einem fast wolkenlosen Himmel noch einmal ihre letzten Kräfte mobilisieren, bevor die dunklen, grauen Schleier aus dem arktischen Raum wieder Besitz von der Landschaft ergreifen.

 

Nur wenige Fahrzeuge kreuzen unseren Weg. Die über den grünen Hügeln liegende Stille steht in angenehmem Kontrast zum hektischen Treiben der nahe gelegenen Megapolis Los Angeles. Immer wieder halten wir an Aussichtspunkten, dann schweift unser Blick über das Grün hinaus aufs tiefblaue Meer, wo Seevögel im gleißenden Licht der Sonne ihre akrobatischen Flugübungen absolvieren. Es ist einer jener Tage an denen einfach alles stimmt. Am frühen Nachmittag finden wir eine schöne Wiesenfläche auf der wir uns ausbreiten und picknicken können, danach legen wir uns ins Gras und verdösen den Rest des Tages. Gegen fünf Uhr frischt der Wind auf uns wird es nun doch etwas kühl und so packen wir unseren ausgelagerten Hausrat wieder ein und setzen unsere Fahrt fort. Am Hearst Castle vorbei geht es in Richtung Monterey Bay, wo wir unser Nachtlager aufschlagen.

 

Schon des Öfteren hatten wir in den vergangenen Monaten Probleme einen geeig­neten Stellplatz für die Nacht zu finden. Dafür gibt es auch einen Grund. Unsere oder sagen wir besser meine Tagesplanung ist in der Regel zu ehrgeizig. Wenn wir nicht gerade absolut garstiges Wetter haben, gibt es auch abseits der Nationalparks immer so viel aufregendes zu sehen, dass wir tagsüber einfach deutlich mehr Zeit für Sightseeing benötigen als wir uns das morgens vorstellen können. Da wir uns heute San Francisco nähern, sind wir besonders früh auf den Beinen, um ja rechtzeitig dort einzutreffen. Doch der Tag verläuft wie der gestrige, die reizvolle Küstenstraße gepaart mit der milden Witterung lässt uns alle guten Vorsätze vergessen. Wir halten mal hier und mal dort, kommen nur langsam voran und erreichen die Stadt erst am späten Nachmittag.

 

Mit Trailerparks haben wir uns in Stadtnähe bisher immer sehr schwer getan. Findet sich tatsächlich mal einer in günstiger Citylage, dann ist der in der Regel so teuer, dass man dankbar ablehnt und nach Alternativen Ausschau hält. Von San Francisco wurde uns berichtet, dass es möglich sei, am Yachthafen zu übernachten. Die Sache sei zwar nicht ganz legal, würde aber von den Ordnungshütern geduldet. Dies im Hinterkopf schlagen wir uns von Süden kommend über die städtischen Hügel zum Yachthafen durch. Am Marina Boulevard stellen wir unser Gefährt auf einem mittelgroßen Parkplatz ab und gehen erst mal in den unmittelbar gegenüber liegenden Supermarkt, um unsere Vorräte, die in den letzten Tagen doch etwas zur Neige gingen aufzufrischen.

 

Im Safeway erleben wir unser erstes städtisches Highlight. Der Markt ist so gut aufgestellt, dass wir uns fast wie in Europa vorkommen. Wir trauen unseren Augen nicht als wir französisches Weißbrot im Regal stehen sehen. Nachdem wir nun mehrere Monate mit dem nach Konsistenz, Geschmack und allen anderen Kriterien eigentlich ungenießbaren amerikanischen Weißbrot zurechtkommen mussten, eine Offenbarung. Hastig decken wir uns mit Schinken, Käse, Wein und einigen Leckereien mehr ein und eilen dem Ausgang entgegen. Im Auto brühen wir uns einen Kaffee und genießen jeden Bissen dieser unerwarteten Köstlichkeiten. Nachdem die Bäuche gut gefüllt sind, bereiten wir unser Fahrzeug für den Abend vor und sehen uns auf dem Parkplatz ein wenig um.

 

Als wir ankamen war der Parkplatz mit Tagesbesuchern gut gefüllt, leerte sich aber während wir einkauften, aßen und unser Nachtlager aufschlugen zusehends. Mit Einbruch der Dämmerung kristallisiert sich nun auf der Mitte des Platzes eine kleine Ansammlung von Vans heraus. Da unser Gefährt etwas abseits steht, konnten wir die Fahrzeuge nicht genau erkennen, als wir uns nähern bemerken wir jedoch, dass viele der Fahrzeuge im Heck oder an den Seitenscheiben mit den verschiedensten europäischen Flaggen geschmückt sind.

 

Insgesamt mögen es etwa 10 Vans sein, die auf dem Parkplatz vor dem Yachthafen abgestellt sind. Einige Fahrzeuge sind verschlossen, die Eigner offenbar noch in der Stadt unterwegs. Andere sind weit geöffnet und im Fahrzeuginnenraum oder davor wird Essen zubereitet, Wäsche zum Trocknen aufgehängt oder einfach nur gedöst. Obwohl die Schweiz eines der kleineren Länder Europas ist, scheint die Mehrzahl der Karossen in eidgenössischer Hand zu sein. Das kommt uns natürlich entgegen, weil man in der Muttersprache reden kann wie einem der Schnabel gewachsen ist.

 

Da wir noch nicht wissen wie die Situation auf dem Parkplatz und in der Stadt ins­gesamt einzuschätzen ist, gehen wir offen auf die Kolonie zu und reden mit verschie­denen Leuten um erste Eindrücke zu sammeln. Man erzählt uns, dass für gewöhn­lich am späten Abend damit zu rechnen sei, dass die Stadtpolizei kommen und uns auffordern werde den Parkplatz zu räumen, da das Übernachten, wie auf der Be­schilderung ringsum überall zu lesen (No overnight parking!), nicht gestattet ist. Die Fahrzeuginsassen würden dies mit großem Gleichmut und schöner Regelmäßigkeit zur Kenntnis nehmen, sich aber beim abendlichen Relaxen kaum stören lassen. Daraufhin gebe es dann für jeden Fahrzeugführer, der sich der Aufforderung wider­setzt einen Strafzettel und die Beamten würden unverrichteter Dinge von dannen ziehen. Das könne man etwa 6 Wochen so treiben, dann müsse man mit dem „law enforcement“ also dem Vollzug des betreffenden Gesetzes rechnen und dies bedeute konkret, dass das Fahrzeug entweder mit einer Parkkralle festgesetzt oder abgeschleppt und einbehalten wird, bis alle Strafzettel bezahlt sind. Man müsse also nur zusehen, dass man innerhalb dieser 6-Wochen-Frist den Staat Kalifornien ver­lassen habe und kurzfristig nicht mehr zurückkomme, dann drohe einem kein Unge­mach.

 

Mir klang das alles zu einfach, ich hatte aus dem einen oder anderen europäischen Urlaubsland üble Geschichten gehört und äußerte unumwunden meine Skepsis. Daraufhin kramten einige ihre Trophäensammlung, bestehend aus einem Bündel Strafzettel, die sich in den letzten Wochen Nacht für Nacht an der Wind­schutz­scheibe angesammelt hatten hervor. Das war überzeugend!

 

Mit einem Pärchen aus der Nähe von Zürich verstehen wir uns besonders gut und so laden diese beiden uns in ihren Van ein, um das abendliche Gespräch fortzu­setzen. Ihr Van ist etwas größer als der unsre, hat eine wunderschön abgestimmte hell-/dun­kel­grü­ne Metalliclackierung und eine weniger betagte Maschine als unser Gefährt. 

 

Die beiden sind etwas jünger als wir, sie heißt Karin und ist „wasch­echte“ Schwei­zerin. Ihre Eltern haben eine Metzgerei in einem kleinen Ort am Zürichsee in der sie des Öfteren aushalf. Gelernt hat sie jedoch Apothekenhelferin, weil sie auf Dauer dem Metzgerberuf nicht so viel abgewinnen konnte. Er heißt Arnost und ist von Geburt aus eigentlich Tsche­che, was man bei genauem Hinhören auch noch an einem etwas härter gesproche­nen Schweizerdeutsch feststellen kann. Arnost kam mit den Eltern im Gefolge des Prager Frühlings als Asylbewerber in die Schweiz, ist aber dort aufgewachsen und kennt die Tschechische Republik nur sehr vage. Arnost ist Musiker durch und durch, hat auch schon den einen oder anderen kleinen Song komponiert, den er uns zum Besten gibt, konnte sich aber beruflich noch nicht so richtig entscheiden und ver­diente sein Geld bisher als Musiklehrer. Mit der Heimat der Eltern verbindet ihn vor allem eine große Lässigkeit bei allem was er tut, was Karin später noch das eine oder andere Mal auf die Palme bringen wird.

 

An diesem Abend sind wir jedenfalls alle vier sehr sehr lässig, trinken zunächst einige Kaffee und leeren später mit größtem Vergnügen den Wein, den wir heute erst bei Safeway erworben haben. Wir haben uns so viel zu erzählen, dass es mir am folgenden Tag nicht mehr gelingt alles im Tagebuch unterzubringen.

 

Bei unseren Vorbereitungen hatte ich auf Umwegen erfahren, dass es in New York einen Schweizer gebe, der sich darauf spezialisiert habe, seine Landsleute mit Fahrzeugen für einen längerfristigen Trip auszurüsten, um später die Fahrzeuge mit einem entsprechenden Wertverlust zurückzunehmen und erneut zu verkaufen. Tatsächlich hatten wir unterwegs auch schon Globetrotter getroffen, die von diesem Angebot Gebrauch gemacht hatten. Karin und Arnost hatten Ihr Fahrzeug aber in Kanada erworben und waren von dort aus gestartet. Karin erzählt uns, dass sie auf ihrem Weg durch Kanada manchen Globetrotter immer mal wieder getroffen hätten und dass es lustig sei mit diesem Wanderzirkus über den Kontinent zu reisen, sich gelegentlich unerwartet wieder über den Weg zu laufen und dann die neuesten Nachrichten auszutauschen. Auch hier auf dem Platz seien einige Leute, die sie schon mehrfach getroffen habe. Sicher versteht man sich nicht mit allen gleich gut, aber es ist gerade in einer Großstadt sehr hilfreich, wenn man in einem Pulk zusam­mensteht in dem jeder jeden kennt. Geht man in die Stadt, so kann man sein Fahr­zeug bedenkenlos stehen lassen, weil aus der Community immer einer da ist, der aufpasst, dass nichts gestohlen wird. Der Abend bleibt bis zum Schluss sehr kurz­weilig und so beschließen wir am folgenden Tag zusammen in die Stadt aufzubre­chen.

 

Wir haben doppeltes Glück. Nicht nur, dass wir Traveller gefunden haben, mit denen wir uns gut verstehen und uns wieder einmal in der Muttersprache verständigen können, nein Karin und Arnost sind auch schon einige Tage hier und haben einen Informationsvorsprung. Sie wissen wo wir einen nahe gelegenen Laundry finden, um unsere doch arg gebeutelten Klamotten wieder mal auf Vordermann zu bringen, sie kennen günstige und gute Restaurants, sie haben sich bereits gut orientiert, kennen die kürzesten Wege und wissen welche Discotheken, Bars oder Cafés gerade angesagt sind.

 

Wir sind schon relativ spät dran, als wir uns gegen 9:00 Uhr aus dem Bett schälen, frühstücken und uns für den Tag vorbereiten. Die beiden Schweizer toppen das aber noch um zwei Stunden und so ist es schon fast Mittag als wir zu unserem ersten Stadtbummel aufbrechen.

 

Die beiden Vans stellen wir in der Stadt ab und streifen dann zu Fuß kreuz und quer durch die City. Angelika und Karin übernehmen das Kommando. Nachdem Angelika wochenlang unter meinem ruhigen Wesen zu leiden hatte, kann sie sich nun mit ihrer Geschlechtsgenossin nach Herzenslust austauschen. Darüber hinaus gibt es jede Menge Läden, die Karin erst einmal und Angelika überhaupt noch nicht gesehen hat und die sind natürlich alle extrem wichtig und müssen unbedingt heute noch in Augenschein genommen werden. Arnost und ich können da nur hinterher trotten und aufpassen dass wir dran bleiben. Immerhin werden wir am Nachmittag mit einem üppigen Chinamenü belohnt, was uns doch für allerlei Wartezeiten entschädigt. 

 

Da unser Schuhwerk nur bedingt für längere Laufstrecken taugt, sind wir alle vier bis zum Abend schon etwas geschafft. Trotzdem beschließen die Damen heute Nacht in die Disco zu gehen. So lassen wir es am Abend etwas ruhiger zugehen, verbummeln die Zeit im Vesuvio einer Art Pub mit Café und machen uns gegen halb Zehn auf den Weg. Die Straßen von San Francisco sehen im Dunkeln aber dann doch etwas anders aus als bei Tageslicht und so findet Karin die Disco lange Zeit nicht, so dass wir die Sache vertagen und zurück zum Parkplatz fahren, um die nächste nächtliche Diskussionsrunde einzuleiten.

Am späten Abend bekommen wir dann zum ersten Mal die Herren Ordnungshüter zu Gesicht und werden wie alle anderen aufgefordert das Gelände zu räumen. Da wir noch nicht so genau wissen, wie unsere weitere Reiseroute aussieht und wir deshalb auch nicht ausschließen können, dass wir in den nächsten Monaten doch noch einmal nach Kalifornien zurück kommen lösen wir den Debattierklub auf, entfernen uns vom Parkplatz und finden in der nahe gelegenen Baker Street, gegenüber des Palace of Fine Arts ein ruhiges Nachtlager.

 

Am nächsten Morgen geht es zurück an den Yachthafen. Karin und Arnost sind wie gewohnt noch etwas länger im Bett und so wird es wieder fast Mittag bis wir uns auf den Weg in die Stadt machen können. Nach einem etwas kürzeren Stadtbummel geht es zum Wäschewaschen und Trocknen in den Laundry und von dort nach einer ausgiebigen Mittagsmahl zurück zum Yachthafen.

 

Nach der Wäsche hätten eigentlich auch wir einmal eine Reinigung nötig und auch in dieser Sache können uns Karin und Arnost weiterhelfen. Unweit des Yachthafens gibt es beim Martime National Historic Park eine kostenlose öffentliche Dusche. Die Sache hat allerdings einige Haken. Sowohl Kali­fornien als auch San Francisco gelten in den Staaten nicht zu Unrecht als über­durchschnittlich liberal. Und so finden sich hier sehr viele ausgesprochen interes­san­te Leute aber auch eine ganze Reihe ziemlich schräger Typen ein. Manche waren erfolgreich im Job, wurden irgendwann aus unerfindlichen Gründen vor die Tür gesetzt und sind am Ende hier am Goldenen Tor gestrandet. Sie wissen interessante Geschichten zu erzählen. Andere reden mit sich selbst oder lallen dich in einem völlig unverständlichen Englisch an und du weist nie so recht, wie die drauf sind und was sie eigentlich im Schilde führen. Die meisten sind vollkommen harmlos andere fahren im nächsten Moment aus der Haut und brüllen auf dich ein, ohne dass du den Anlass dieses abrupten Stimmungswandels nachvollziehen könntest. Wieder andere sind religöse Eiferer, die dir den drohenden Weltuntergang in den düstersten Farben ausmalen, um dich anschließend aufzufordern auf den rechten Weg zurückzukehren und ein gottesfürchtiges Leben zu führen. Dann gibt es offensichtlich eine ganze Reihe verkannter Talente die unter der Dusche singen oder besser krächzen, dabei dieselbe Melodie zigmal wiederholen, so dass es irgendwann kaum noch auszu­hal­ten ist.

Manche dieser Zeitgenossen verlassen, um es politisch korrekt zu sagen, die sanitären Anlagen nicht in dem sauberen Zustand wie sie sie vorgefunden haben. Andere wiederum verzichten darauf die vor Dreck stehende Kleidung beim Duschen auszuziehen. Die gehen dann tatsächlich in voller Montur unter die Dusche, seifen das bisschen offen zu Tage tretende Haut und natürlich die gesamte Kleidung gründlich ein, duschen alles gut ab und legen sich anschließend in die Sonne um die Kleidung am Körper trocknen zu lassen. Schon im Sommer ist es ein unangenehmes Gefühl nasse Kleidung stundenlang am Körper trocknen zu lassen und ich frage mich was die im Winter machen. Ob das alles aus Scham, aus Bequemlichkeit oder aus Kostengründen geschieht, immerhin spart man ja den Laundry, wissen wir nicht, uns veranlasst solches Gebaren jedenfalls nie ohne Badeschlappen in das Etablissement zu gehen, möglichst nur den Wasserhahn anzufassen und den Ort sobald als möglich wieder zu verlassen.

 

Vor allem Arnost hält viel auf Reinlichkeit und leidet deshalb am meisten unter den besonderen hygienischen Umständen. Einmal sieht ausgerechnet er, wie einer seiner Vornutzer ein Bad zusammen mit seinem Hund genommen hat, dem das offensichtlich weniger behagte und der sich deshalb, noch in der Dusche stehend kräftig schüttelte woraufhin die Hundehaare über die ganze Kabine verteilt wurden ohne dass der Hundehalter es für nötig befunden hätte diese anschließend fortzuspülen. Da ist für Arnost der Tag schon gelaufen und wir sehen ihn laut fluchend und wild gestikulierend aus den Katakomben zurückkommen. So wird jedenfalls ein ganz ordinärer Duschgang zum täglichen Abenteuer und irgendwann gewöhnen wir uns trotz des gelegentlich kalten Wassers auch an diese etwas außergewöhnlichen Zustände.

 

Auch in den Waschsalons haben wir mitunter Begegnungen der dritten Art. Da es in San Franzisko den größten Teil des Jahres relativ mild ist, besitzen viele Leute die auf der Straße leben nur einen Satz Kleidung und den haben Sie an. Weil die aber irgendwann riecht und kratzt kommt zwangsläufig der Tag an dem eine Wäsche unvermeidlich ist. Mangels Wechselwäsche gehen dann einige Herrschaften in den nächsten Waschsalon, nehmen die Kleidung bis auf die Unterhose vom Leib, waschen und trocken diese und ziehen sie wieder an. Beim Anblick so mancher Unterhose wünschte man sich, sie hätten den letzten Schritt auch noch vollzogen und die Unterhose mit in die Maschine geworfen. Als Kurzurlauber in einem der städtischen Hotels wäre uns manche unangenehme Erfahrung erspart geblieben, hier haben wir einmal einen Einblick gewinnen können, wie das Leben hinter der bunten Fassade dieser so reizvollen Stadt auch ablaufen kann.

 

An Halloween lernen wir eine ganz neue Seite San Franciscos kennen. Die Stadt hat eine große Gay Community, die überwiegend im business district entlang Castro und Market Street angesiedelt ist. Ihre Freizeit verbringt diese Community normalerweise in den einschlägigen Clubs. An den Tagen um Halloween aber drängt es Schwule und Lesben wie alle anderen hinaus auf die Straße, wo sie sich mit schrillen Kostü­men und perfek­tem Styling deutlich von der Masse abheben. Angelika und Karin ani­mieren uns zu einem Ratespiel. Während wir die Polkstreet rauf und runter flanieren sol­len Arnost und ich die an uns vorbeiziehenden als Frauen oder Männer identi­fizieren. Das gelingt uns jedoch nur in den seltensten Fällen und so amüsieren sich unsere Damen köstlich.

 

Als wir in der Nacht aus der Stadt zurückkommen, ist in unserem Globe­trot­ter­dorf noch mächtig was los. Keiner geht schlafen. Die einen holen ihre Weinvorräte aus den Fahrzeugen, andere stecken sich genüsslich eine Zigarette mit Gras an, flözen sich auf die Isomatte oder einen Schlafsack und palavern. Als wir später im Van der Schweizer sitzen, schleicht ein Neuankömmling durchs „Dorf“ den wir bisher noch nicht gesehen hatten. Irgendwann steht er auch vor dem Van der Schweizer, lehnt sich mangels Sitzgelegenheit an die offene Tür des Vans an und drängt sich unge­beten in unsere Gespräche. Der Neuankömmling stammt aus Kiel, ist gestern im „Dorf„ gestrandet und sucht nun Anschluss. Das macht er allerdings sehr unge­schickt, indem er sich ungefragt an den Vorräten bedient, sich meines Platzes be­mächtigt, als ich mal für einige Minuten aus dem Fahrzeug bin und ständig alles bes­ser weiß, so dass wir uns überlegen, wie wir dem jungen Mann schonend bei­bringen, dass wir unter uns bleiben wollen. Um es kurz zu machen, wir schaffen es in dieser Nacht nicht mehr diesen Troubadix loszuwerden, müssen ihn als es bereits hell wird darauf aufmerksam machen, dass es jetzt so langsam mal Schlafenszeit wäre und können ihn nur mit Mühe abwimmeln.

 

Den heraufziehenden Tag vergammeln wir vollkommen. Erst am späten Nachmittag öffnet, mit leichtem Kater ein „Dorfbewohner“ nach dem anderen sein rollendes Heim. Wir sind zwar wieder mal bei den ersten die wach sind, spüren aber schon, dass wir es heute ganz ruhig angehen lassen sollten. An der Wasserlinie haben sich einige Afrikaner und Jamaikaner mit Trommeln niedergelassen. Die Schwingungen der angenehm rythmischen Klänge umspülen unsere Sinne und locken einige Bewohner unseres Dorfes hinüber an die Mole. Man raucht ge­meinsam Gras trinkt eine Tasse Wein oder eine Dose Bier und lauscht fast zwei Stunden lang den immer wieder einsetzenden Trommeln. Es ist ein wenig wie bei Otis Redding und Steve Cropper, die 1968 genau gegenüber auf der anderen Seite der Bay, in Sauselito saßen und ihr später weltberühmtes Sittin' on the dock of the bay, watchin' the tide, roll away, sittin' on the dock of the bay wastin' time komponierten. Das dieses hier Herumsitzen verschwendete Zeit ist, würden wir allerdings heftigst bestreiten. Es ist mit die schönste Zeit unseres Lebens und wir sammeln beim Gammeln kreative Energie, die wir im Laufe eines langen Lebens noch brauchen werden.

 

Angelika und Karin sind zwischenzeitlich zum Safeway hinüber gelaufen, um unsere Vorräte zu ergänzen und das Mittagessen vorzubereiten. Als sie zurückkommen ist Karin ziemlich aufgebracht. Angelika erzählt mir dann was passiert war. Im Supermarkt konnten sie drei Schweizer aus unserem Dorf beobachten, wie sie Ver­packungen aufgerissen und die darin befindlichen Lebensmittel aufgegessen haben. Offensichtlich wurden Sie dabei außer von Angelika und Karin von niemandem be­obachtet und so konnten sie eine ganze Weile da drinnen hausen, bis sie richtig satt waren und den Laden verließen. So zu essen ist natürlich alles andere als appettitlich, aber es sätigt halt und es kostet scheinbar nichts. Karin habe sie dann später zur Rede gestellt und ziemlich gewettert, wie man so etwas nur machen könne. Doch die drei zeigten überhaupt kein Schuldbewusstsein sondern erzählten irgendetwas von Großkon­zer­nen, die man ruhig schädigen könne, weil die ohnehin nicht wüssten wohin mit dem Geld.

 

Die Handlung an sich war für Karin schon schlimm genug, was sie aber vollständig auf die Palme brachte war der Umstand, dass ausgerechnet ihre Landsleute so et­was taten. Darüber hinaus besuchten die anderen Bewohner des „Dorfes“ natürlich auch häufig den Markt. Irgendwann würde einer der Angestellten einen Zusam­menhang zwischen den aufgerissenen Verpackungen und dem Dorf herstellen, so dass dies auch auf die restlichen Globetrotter zurückfallen und zu einem Hausverbot für alle führen könnte.

 

Karin lässt nie einen Zweifel daran, dass sie sich in ihrem Heimatland so richtig wohl fühlt, zwar gesteht sie schon ein, dass auch in der Schweiz nicht alles Gold ist was glänzt, aber man sollte mit der Kritik immer etwas zurückhaltend sein, sonst wird sie zur wortgewaltigen Verteidigerin eidgenössischer Werte und Traditionen. Auch wenn dies immer mit einem lustigen Unterton geschieht, spürt man doch die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens, davon kann auch Arnost ein Lied singen.

 

Nachdem uns dieses bewusst geworden war, machten wir uns später immer mal wieder einen Spaß daraus, zusammen mit Arnost die eine oder andere Kritik an der Schweiz anzubringen um dann zu hören, wie Karin zunächst mit liebevoll beschö­nigenden Umschreibungen das Problem kleinzureden versuchte. Wenn aber alles nichts mehr half ermahnte sie uns mit einem „Bisch so guat“ oder „Gaaatz noch“ nicht immer nur auf der kleinen Schweiz herumzuhacken sondern auch einmal auf Deutschland, der Tschechischen Republik oder den USA zu schauen.

 

Nachdem wir erst gegen 17:00 Uhr zu Mittag gegessen haben, können wir uns nicht mehr aufraffen in die Stadt zu gehen und beschließen den Abend mit einer weiteren Flasche kalifornischen Rotweins zu verbringen. Arnost hat außerdem eine Prise Gras aufgetrieben und zieht genüsslich am Glimmstengel. Danach ist er wieder mal extrem entspannt und schmiegt sich an Karin wie ein Kätzchen, das im eiskalten Winter warmgehalten und gestreichelt werden möchte. Karin tut ihm dann auch noch diesen Gefallen woraufhin er ganz glänzende Augen bekommt.

 

Irgendwann taucht wie aus dem Nichts unser Kieler „Freund“ wieder mal auf, schiebt die hintere Tür zur Seite und begibt sich mit den Worten „Oh, ein goldenes Plätz­chen“ auf den letzten noch freien Sitzplatz. Im ersten Moment erschrecken wir über soviel Dreistigkeit, haben aber heute unseren „sozialen Tag“ und lassen Ihn gewähren. Am späten Abend besucht uns die Stadtpolizei. Wir haben die Jungs rechtzeitig kommen sehen, daraufhin das Licht gelöscht alle Türen verrammelt und verhalten uns nun ganz ruhig. Die Polizisten klappern ein Fahrzeug nach dem anderen ab, rufen die Insassen auf, das Gelände zu verlassen und verteilen, wie üblich ihrer Tickets. Nachdem wir schon einiges getrunken haben, wäre es viel zu riskant jetzt noch loszu­fahren, deshalb bleiben auch wir heute auf dem Parkplatz und feiern mit Karin, Arnost und dem Kieler unser erstes Ticket.

 

Nach einem Tag gammeln haben wir uns ganz gut erholt und sind heute alle vier mal richtig früh auf den Beinen. Zu uns gesellen sich zwei weitere Schweizer, nämlich Jürgen, den hier alle nur Flügge nennen, und Marianne, die allerdings beide nicht zum „Dorf“ gehören. Marianne kommt aus demselben Ort wie Karin, ist aber als Au Pair in San Francisco und Jürgen ist auf Besuch hier herüber gekommen. Marianne genießt die abwechslungsreichen Tage mit Karin und natürlich auch mit ihrem Freund Flügge denn so wird der lange Abschied von der Heimat auch etwas kurz­wei­liger.

 

Das Frühstück verlegen wir sechs kurzerhand in ein städtisches Café, bummeln an­schließend durch die Stadt, um den einen oder anderen kleinen Shop aufzusuchen und finden dabei ganz zufällig in der California Street zwischen „Polk“ und „Larkin“ einen European Bookstore mit euro­päischer Literatur, Zei­tungen und Zeitschriften. Da wir keinen Fernseher mitführen und uns höchst selten in Großstädten aufhalten, sind wir informationstechnisch etwas abgehängt und so bin ich ganz begeistert als mir eine nur wenige Tage alte FAZ in die Hand fällt. Während ich zuhause vielleicht ein Drittel der Artikel lesen würde, sauge ich hier jedes Blatt in mich auf. Die Mädels haben einige Mühe mich aus dem Bookstore herauszulocken, versprechen aber, dass dies nicht der letzte Besuch war und so willige ich schließlich ein in Richtung China Town aufzubrechen.

 

Auf unserem weiteren Weg durch die Stadt fällt Karin auf einmal ein, dass es eigentlich an der Zeit wäre wieder einmal ein paar Fränkli in Dollar umzutauschen. Also vereinbaren wir einen Treffpunkt und Karin und Arnost machen sich auf den Weg. Sicher wird sich mancher fragen, was denn an einem Geldumtausch so interessant sein könnte. Nun, ich kenne die Geschichte auch nur vor Hörensagen aber es soll sich in etwa folgendes zugetragen haben:

 

Wer schon einmal in einer amerikanischen Bank war, der weiß, dass dort Bankgeschäfte mitunter geradezu zelebriert werden. Betritt man die häufig mit edlen Gesteinen, roten Teppichen und Brokatschnüren ausgestatteten, heiligen Hallen, so wird man je nach Anliegen durch entsprechendes Personal in die eine oder andere Warteschlange eingereiht und wartet dort geduldig und mit stets freundlicher Mine bis man aufgerufen wird an den zugeordneten Schalter vorzutreten.

 

Und so standen nun auch Karin und Arnost in einer dieser Schlangen und weil die Amerikaner Dienstleistung groß schreiben, wird jedem Kunden ausführlichst geholfen und so steht man und steht man und es geht kaum voran.

 

Nun hatte sich Arnost an einem der Vortage wieder einmal über Karins angeblich immer gleich schmeckendes Essen beschwert und so hatte Karin ihm deshalb am Vorabend ein sehr würziges Gericht präsentiert, das er auch sichtlich genoss. Das dumme war nur, dass sich hierdurch schon seit einiger Zeit Gase bildeten, die man in freier Natur problemlos den Weiten des Universums anvertraut hätte, deren Entsorgung in einer langen Reihe gut gekleideter, wohlriechender Mitmenschen innerhalb dieser vornehmen Hallen jedoch gewisse Probleme bereitete. Dies alles war Arnost bewusst und so trat er zunächst einmal in Phase eins, die Akkumulationsphase ein bei der unerwünschte Gase innerhalb des Systems gebunkert werden, bis eine günstige Gelegenheit eintritt, um diese gefahrlos zu entsorgen.

 

Weil sich die Warteschlange nun aber gar nicht auflösen wollte, baute sich im System ein immer größerer Druck auf, der früher oder später in Phase zwei, der geordneten Entsorgung unter Vortäuschung völliger Ahnungs­losig­keit münden musste. Da Arnost von uns vieren der reinlichste war, wäre ihm das unter lauter Fremden schon recht unangenehm gewesen. Nun hatte er aber Karin vor sich und einen großen, kräftig gebauten, gut ge­kleideten und freundlich lächelnden Schwarzen mittlere Alters hinter sich. Das alles schien ihm eine denkbar ungünstige Konstellation zu sein, um Phase 2 einzuleiten. Darüber hinaus schien er wohl auch schon zu ahnen, dass Karin im Falle eines Malheurs wieder einmal das Ansehen der kleinen Schweiz in Gefahr sehen würde und das veranlasste ihn nun zu äußersten Anstrengungen die Gase dort aufzubewahren wo das Ansehen der Schweiz außer Gefahr war.

 

Immerhin war man in der Schlange inzwischen auf den dritten Platz vorgerückt und so schien ein Malheur doch noch vermeidbar. Am Ende kam es dann doch wie es kommen musste. Trotz intensivsten Bemühens verschafften sich die Gase schließlich den ihnen gebührenden Raum und traten ihren Siegeszug den anatomischen Gegebenheiten entsprechend nach hinten an. Den Gesetzen der Physik folgend, stieg die Warmluft alsbald nach oben bis erste Moleküle die feine Nase des freundlichen Schwarzen mittleren Alters erreichten. Der schöpfte erst einmal überhaupt keinen Verdacht sondern schrieb den etwas übel riechenden Luftzug der schlechten Belüftung im Warteraum der Bank zu. Als immer mehr Moleküle seine Nase erreichten, dämmert ihm so langsam, dass irgendwo in seiner näheren Umgebung ungebührliches geschah. Zunächst einmal versuchte er dies zu ignorieren und die Contenance zu bewahren. Doch Arnost hatte die Sache inzwischen kaum noch unter Kontrolle und so traten ständig neue Lecks auf, welche die streng riechende Fracht in immer größeren Mengen nach außen dringen ließen. Dem nun nicht mehr sehr freundlich dreinschauenden Schwarzen entglitten so langsam die Gesichtszüge, sein eigentlich tiefschwarzes Gesicht nahm mit einem Male rote Züge an und er fing an einige unverständliche Dinge in seinen Bart zu murmeln. Andererseits wollte er auch niemandem zu nahe treten, ohne Gewissheit zu haben. Zur Phase zwei gehörte ja das Vortäuschen völliger Ahnungslosigkeit und zumindest das hatte Arnost noch ganz gut im Griff. Nachdem die Geruchsbelästigungen dann aber einen vorläufigen Höhepunkt erreichten, wurde es dem ehemals freundlichen, kräftig gebauten und gut gekleideten Schwarzen jetzt zu bunt. Sein Teint hatte zwischenzeitlich eine tiefrote Farbe angenommen und er wäre mit etwas anderem Haar leicht als Indianer durchgegangen. Und so äußerte er nun ganz offen sein Missfallen über die Vorgänge in seiner nächsten Umgebung, so dass reichlich Unruhe in die Warteschlange kam, zumal sich die Wolke zunehmend weiter ausbreitete und weitere Opfer zu beklagen waren. Das alles wäre halb so schlimm gewesen hätten die übel riechenden Schwaden nun nicht auch noch den Weg nach vorn angetreten, wo Karin stand, die diese Duftnote natürlich nur allzu gut kannte, sich mit einem höchst mürrischen Blick zu Arnost umdrehte, um diesen mit einem „ja spinnscht denn du, gaatz noch“ anzufauchen. Zwar verstand der ehemals freundliche Schwarze kein einziges Wort aber was die Uhr geschlagen hatte, das war ihm nun sonnenklar. Und während der Schwarze, zwischenzeitlich Rote und nun immer blasser, um nicht zu sagen weiß werdende Mensch hinter Arnost allmählich zur Schnappatmung überging, war es für Arnost nun allerhöchste Zeit Phase drei, den schnellstmöglichen Rückzug und das Entfernen aus der Gefahrenzone einzuleiten. Das übernahm nun Karin und so waren die beiden nach einer mehr als halbstündigen Wartezeit auf dem kürzest möglichen Weg im Freien, um das Problem endgültig zu beheben. In dieser Bank konnten sich die beiden natürlich nicht mehr sehen lassen. Den Umtausch organisierte Karin dann zwei Tage später. Alleine, versteht sich!   

 

San Franciscos China Town ist mit mehreren zehntausend Einwohnern eines der größten China Towns außerhalb Chinas und folglich auch der USA. Das Chinesen­viertel wird im Westen von Powell Street und Nob Hill, im Osten von der Kearny Street und im Norden durch North Beach begrenzt. Im Viertel wird mehr kanto­nesisch und Mandarin gesprochen als irgendeine andere Sprache. Das Dragon Gate in der Grant Avenue Ecke Bush Street ist der offizielle Zugang zu diesem etwa 20 Häuserblöcke umfassenden Viertel. Woher kommen eigentlich all diese Chinesen, pardon, inzwischen natürlich Amerikaner chinesischer Abstammung? Eine größere Anzahl Chinesen wurde für den Bau der kontinentalen Eisenbahnver­bindungen ins Land geholt und kehrte nachdem diese Knochenarbeit verrichtet war nicht mehr in die Heimat zurück. Später kamen illegale Einwanderer, die sich in dieser Stadt in der Stadt bestens verstecken konnten hinzu oder man heiratete mit seinesgleichen und so nahm das Viertel allmählich seine heutige Größe an. Die Chinesen sind äußerst geschäftstüchtig und immer wenn wir an den prall gefüllten Auslagen der Lebensmittelläden oder Kleinrestaurants vorbeigehen versucht man uns die feilgebotenen Waren anzudienen oder uns zum Essen zu animieren. Die Gerichte sind äußerst schmackhaft, preisgünstig, ordentlich portioniert und vitamin­reich, was man bei Mahlzeiten in amerikanischen Schnellrestaurants nicht unbedingt behaupten kann.

Manche der chinesischen Schnellrestau-rants machen sich nicht einmal die Mühe ihre Mahlzeiten in englischer Sprache anzuschreiben. Die chinesische Stamm­kundschaft weis ohnehin was sie erwartet und versteht überdies die uns fremden Schriftzeichen. Zeigt ein Tourist Interesse, so wird mit Zeichensprache wild gesti­kuliert oder man stellt intuitiv erahnend welche Geschmäcker die fremden Gaumen wohl beeindrucken könnten einige wenige englische Vokabeln in den Raum. Hilft dies alles nichts, so taucht flugs aus einem der Hinterhöfe ein jugendliches Gesicht auf und betet in schneller Folge und bestem Englisch die Tageskarte herunter. Also lassen wir uns auch heute wieder einmal gerne überreden und verschwinden in ein­em der unzähligen Schnellrestaurants.

 

Gut gesättigt suchen wir nun unseren Weg zur Fisherman's Wharf, einem Hafen­viertel im Nordosten von San Francisco. Fisherman's Wharf liegt etwa zwischen der Polk Street im Westen und der Kearny Street im Osten. Es zählt zu den Haupt­attrak­tionen in San Francisco. Entstanden ist Fisherman's Wharf um 1900, als sich dort italienische Fischer ansiedelten. Seit den 50er Jahren entwickelte sich das Viertel zu einem Touristengebiet, das inzwischen ebenso viele Besucher anzieht wie die Gol­den Gate Bridge oder China Town. Neben einem Fischmarkt auf dem alle Köstlich­keiten des Meeres angeboten werden, findet man auch hier kleine Restaurants, wel­che die nebenan ausgelegte Rohkost zu schmackhaften Menüs zu verarbeiten wis­sen. Darüber hinaus haben sich neben einer Vielzahl von Geschäften auch einige Galerien und Museen angesiedelt. Von Fisherman's Wharf bzw. Pier 41 aus starten ferner die Fäh­ren nach Alcatraz, unweit davon liegt das Pier 39 mit seinen vielen Attraktionen und Buden. Am Pier selbst und auf den umliegenden Straßen und Plät­zen zeigen Gaukler, Musiker oder Pantomimen ihr Können und so wird nicht nur die­ser Tag zu einem sehr kurzweiligen Erlebnis.

In unserem Tagesablauf schleicht sich allmählich eine gewisse Routine ein. Durch die langen Nächte kommen wir relativ spät aus dem Bett, frühstücken, verbringen den späten Vormittag mit Lädeln, wie die Schweizer sagen, gehen dann ins Chine­senviertel oder an die Fisherman's Wharf, um zu Mittag zu essen und relaxen den Rest des Tages am Pier 39 und in den angrenzenden Straßen. Am frühen Abend geht es dann in die nächtliche City und spät in der Nacht zurück zu unserem Lager. Übrigens fühlen wir uns trotz mancher Räuberpistolen, die man hier und da aufgeschnappt hat, weitgehend sicher und bewegen uns auch bei Nacht in der ganzen Stadt vollkommen ungezwungen. 

 

Ohne, dass wir uns darüber am Anfang im Klaren sind, endet eines Mor­gens das süße Leben fast schlagartig. Tiefliegende, dunkelgraue Regenwolken ha­ben die Stadt überzogen und der Regen prasselt wie ein Trommelfeuer auf die ble­chernen Dächer unserer Vans. Die Dichtung der hinteren Seitentür unseres Fahrzeugs scheint etwas altersschwach zu sein und so wurden unsere Schlafsäcke und letztlich auch unsere Füsse nass. Als wäre dies alles nicht schon genug, hat sich an der Decke Schwitzwasser gebildet, das uns immer mal wieder aufs Haupt tropft. So werden wir viel zu früh wach und sind alles andere als ausgeschlafen. Wir werfen unseren Coleman-Stove an, was nach einigem Hin und Her auch gelingt und päppeln unsere müden Körper mit etwas Kaffee auf. Dann reiben wir mit Tüchern das Dach trocken, gehen trotz Regens duschen, wissen danach aber auch nicht wirklich viel mit diesem Tag anzufangen. Regenwetter ist für uns fast noch unangenehmer als eine moderate Kälte. Die Nässe macht sich überall breit, der Bewegungsspielraum wird auf die beengten Verhältnis­se unseres kleinen Busses eingeschränkt, nicht selten kommt eine missmutige Stimmung auf und domi­niert zusammen mit der Nässe den ganzen Tagesablauf.

 

Nachdem wir nun wochenlang keinen Stress mit unserem alten Gefährt hatten dringen die auch an den folgenden Tagen nicht abklingenden Niederschläge bis zur Elektrik unseres Fahrzeugs vor und sorgen mehrfach für Kurzschlüsse, was unsere Nachbeleuchtung zweimal außer Betrieb setzt und auch das Starten am folgenden Morgen wieder zu einem Abenteuer geraten lässt. Hier im Dorf nehmen wir das alles etwas gelassener hin als draußen in der Wildnis, wissend, dass wir jederzeit auf Hilfe rechnen können. Aber es ist trotzdem nervig nie zu wissen, ob man einen geplanten Ausflug einfach so antreten kann oder erst mühsam rumjuckeln muss, bis die Karre nach Auswurf eines gewaltigen Schwalls weißer Rauchwolken endlich in die Gänge kommt.

 

Wir versuchen uns mit dem einen oder anderen Ausflug in die Stadt abzulenken, be­suchen mehrfach das Vesuvio in der Columbus Avenue, trinken dabei noch mehr Kaffee als eh schon, fre­quentieren auch den Laundry öfter als gewöhnlich, und las­sen in einer kleinen Hinter­hofwerkstatt unsere Elektrik überprüfen ohne wirklich das Problem lösen zu können.

 

Fast 3 Tage lang hängt die graue Dunstglocke über der Stadt öffnet und schließt in unregelmäßigen Abständen die Schleusen und erwischt uns auf unseren Stadt­bum­meln öfter mal unvorbereitet, da wir bei dem wenigen Gepäck, das wir von zuhause mitnehmen konnten bzw. mittlerweile käuflich erworben haben natürlich nicht optimal auf alle Wetterkapriolen vorbereitet sind. Als es endlich aufklart atmen wir alle tief durch.

 

Auch wenn unser Aktionsradius nun wieder größer wird, spüren wir doch an den niedrigeren Tagestemperaturen, dass sich das Jahr seinem Ende entgegen neigt. Ka­rin und Arnost beschließen deshalb in wenigen Tagen San Francisco den Rücken zu kehren und gen Süden zu fahren. Einen der wärmeren Tage verbringen wir noch gemeinsam im Golden Gate Park, der zwischen Stanyen Street und dem Pazifik ge­legenen grünen Lunge San Franciscos. Dann heißt es den Van der Schweizer für die kommenden Wochen auf Vordermann zu bringen, letzte Wartungsarbeiten durch­zuführen und eh man sich versieht naht der Abschied. Wir sind alle etwas wehmütig, haben aber schon fest vereinbart uns, wenn möglich, in wenigen Wochen in Las Vegas wieder zu treffen, spätestens aber in Mexiko einen weiteren Teil unseres We­ges gemeinsam zu bestreiten. Auch wenn uns am folgenden Morgen immer noch etwas jämmerlich zumute ist, beschließen wir die verbleibende Zeit zu nutzen, um uns einige touristische Ziele, zu denen wir bisher den Weg nicht gefunden hatten, anzusehen. Über die Golden Gate Bridge geht es auf die Nordseite des Goldenen Tores nach Sausolito, wo sich eine Künstlerkolonie angesiedelt hat. Danach geht es zur Golden Gate National Recreation Area, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Brücke und die dahinter liegende Skyline San Franciscos hat. Wir sehen uns den hoch über der Stadt thronenden Coit Tower an und durchstreifen das Businessviertel um den als Spitzpyramide ausgebildeten markantensten Wolkenkratzer San Franciscos einmal aus der Nähe zu begutachten. Schließlich besuchen wir noch einmal den European Bookstore, um uns mit Literatur für die nächsten Tage einzudecken und geniesen noch einmal das Französische Weißbrot, Croissants und Café der besonderen Art. Am 11. November heißt es auch für uns Abschied zu nehmen. Wenn es uns überhaupt gelingen sollte hier noch einmal unsere Zelte aufzuschlagen, wird es lange dauern. Aber die Erinnerungen werden uns bis an unser Lebensende begleiten.   

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