Dienstag, 20.01.2015 - Zweite Tagesfahrt mit dem PKW in Madeiras Westen
Wenn alles gut geht, werden wir heute unsere längste Tagesetappe absolvieren. Tatsächlich ist die komplette Gurkentruppe schon gegen 08:45 Uhr abfahrbereit.
Ein letzter Check auf der Karte, dann klicken die Sicherheitsgurte und unser Muli setzt sich in Bewegung. Jetzt heißt es erst einmal Strecke machen. Also nutzen wir die Vorzüge der Ringmagistrale und eilen durch die Tunnelpiste gen Westen der Ausfahrt oberhalb des Städtchens Ribeira Brava entgegen. Wie am Vortag geht es dann auf die VE3, dem Fluss nach Norden folgend bis Serra de Agua und von dort auf der Nebenstraße ER 228 in Richtung Estrada Regional 110. Am Pass angekommen wollen wir heute aber nicht gleich wieder hinunter zur Nordküste, sondern folgen der ER 110 in westliche Richtung. Hier möchten wir das Hochland Paul da Serra (port. Gebirgsmoor) erkunden. Paul da Serra war vor der Besiedelung Madeiras durch Menschen überwiegend mit Zedern-Wacholder bewachsen. Abholzungen haben dazu geführt, dass hier fast nur noch Gräser, Adlerfarn und der auf Madeira eingeführte Stechginster zu sehen sind. Die Hochebene liegt auf einer Höhe um 1400 bis 1500 Metern oberhalb des Baumheide- und Lorbeerwaldgebiets (Laurisilva). Der höchste Punkt am Ostrand ist die Bica da Cana (1620 m), der am Nordrand gelegene Pico Ruivo (P. da Serra) erreicht 1639 m und ist die höchste Erhebung der Hochmoorlandschaft.
Sturköpfig bestehen wir darauf, nach zwei vergeblichen Versuchen auch oben in den Bergen heute endlich einmal Glück mit dem Wetter zu haben. Doch kaum haben wir die 1.000-Meter-Marke ein zweites Mal erklommen, hüllen uns schon wieder diese verdammten Nebelschwaden ein. Die soll der Schlag treffen. Laut unserer Karte gewinnt die Straße oberhalb des Passes bis zum Plateau mindestens noch einmal 400 Höhenmeter. Vielleicht schaffen wir es ja, die Wolkendecke zu durchdringen, um jenseits der Wolken mit einem grandiosen Fernblick belohnt zu werden. Im dicken Dämmer tasten wir uns langsam voran, ungeduldig den Himmel absuchend, voller Hoffnung irgendwo erste Anzeichen einer sich auflösenden Wolkendecke zu finden. Aber über unseren Köpfen tut sich gar nichts. Eine wie aus dem Nichts auftauchende Straßensperre macht schließlich all unsere Hoffnungen mit einem Schlag zunichte. Wie blöde ist das denn? Und dann fehlt auch noch jeglicher Hinweis, warum die Weiterfahrt verwehrt wird. Das ist ärgerlich. Trotzdem bleibt uns nichts anderes übrig, als umzudrehen.
Also geht es wieder zurück an den Pass und wie gestern schon zur Nordküste hinunter nach São Vicente. Der Nebel ist inzwischen in einen feinen Sprühregen übergegangen, der uns bis an die Küste treu bleibt. Von São Vicente aus folgen wir diesmal der VE2 in westliche Richtung, die uns zwar schnell voranbringt, aber mit ihrem gleichförmigen Verlauf, mit zahlreichen Tunneln, oft genug abseits jeglicher Bebauung und fern der Küste alles vorenthält, was die Insel und was diesen Landstrich so reizvoll macht. Bald erkennen wir, dass Reste der alten Küstenstraße, der Antiga ER 101 erhalten geblieben sind und folgen dieser, wo immer sich eine Möglichkeit auftut. Irgendwann zwingen uns Hinweistafeln aber dann vollends auf die Tunnelstrecke, was wir sehr bedauern. Warum das so ist, ist allerdings auch unschwer zu erkennen. Die von den Vulkanen ausgespienen Lavadecken türmen sich nun wieder zu hohen Gesteinswänden auf, deren ungesicherte Abbruchkanten durch Steinschlag und Erdrutsche jeden bedrohten, der die Antiga ER 101 befuhr, also gab man der Sicherheit den Vorrang und die grandiosen Ausblicke blieben wortwörtlich auf der Strecke.
Nach 55 km Fahrtweg erreichen wir den Ort Seixal. Es ist einer jener Küstenorte, die man mit einigen Tagen Madeiraerfahrung glaubt, irgendwie schon einmal gesehen zu haben, unterscheidet er sich doch nur in Nuancen von anderen Weilern. Insofern fragen wir uns, ob wir bei dem Sauwetter überhaupt von der Hauptstraße abfahren und uns hinunter in den Ort begeben sollen. Natürlich lässt uns die Neugier dann doch keine Ruhe, zudem lässt der Regen nach, also versuchen wir unser Glück.
Der Ort erscheint wie ausgestorben. Keine Menschenseele auf der Straße, wen wundert es bei diesen trüben Aussichten. Wir folgen der Straße fast bis an die Wasserlinie, wollen uns eigentlich nur kurz umsehen, um gleich wieder weiterzufahren, entschließen uns dann aber doch eine der etwas abseits gelegenen Parkbuchten anzusteuern und etwas spazieren zu gehen.
Kurz unterhalb der Parkbucht gelangen wir über eine Treppe hinunter an den Strand, der ausnahmsweise einmal aus sandigen, allerdings sehr feuchten Sedimenten besteht.
Der Wasserlinie folgend, halten wir nach Norden auf eine Mole zu. Die dunkelbraune Farbe der Sande ist wenig ansprechend, doch deren Geläuf ungleich angenehmer als die Geröllfelder, mit denen sich die sommerlichen Badegäste ansonsten vielerorts herumschlagen müssen. Im Bereich eines kleinen Süßwasserzulaufs kann man gut erkennen, dass die Sanddecke nur notdürftig die Geröllansammlungen überdeckt. Auf älteren Karten sieht man auch, dass die Mole noch nicht allzu lange existiert. Offensichtlich hat man sich den Umstand, dass die Küste im Ort einige hundert Meter nach Süden zurückspringt, zunutze gemacht, indem man das nördliche Ende dieses Geländeeinschnitts mittels der Mole nach Osten verlängerte, sodass nun ein kleines Becken entstanden ist, in dem sich im Sommer, gut geschützt vor der rauen See angenehm baden lässt. Während wir über den weichen Sand auf die Mole zulaufen, bläst uns ein kräftiger Wind entgegen. Im Brandungsbereich jenseits der Mole nehmen einzelne Böen feinste Tröpfchen der aufgewühlten See auf und schleudern sie uns ins Gesicht, sodass wir mangels Kopfbedeckung und Schirm die Krägen soweit als möglich hochziehen und die Köpfe nach Osten drehen. Schließlich endet der Strand und wir gelangen über eine Rampe hinauf auf die Mole. Am westlichen Ende der Mole rauschen aus der aufgewühlten See immer neue Brecher in die küstennahen Felsensembles und Geröllablagerungen.
Michael würde zu gerne einige Fotos von diesen Brechern machen, doch schon nehmen die Wolken wieder dunklere Töne an, erneut setzt Nieselregen ein und befeuchtet Mensch und Kamera. Der stärker werdende Regen zwingt uns Schutz unter einem Dach zu suchen. Bereits gut durchfeuchtet verharren wir in unserer Notunterkunft, hoffend der Regen möge bald wieder abklingen. Als sich aber auch nach zehn Minuten nicht die geringste Verbesserung einstellt, beschließt Michael zum Wagen zu sprinten, mit diesem an die Mole heranzufahren und Angelika und Lina aufzunehmen. Nach dieser garstigen Ausladung wollen wir nur noch weg. Doch im Nu sind sämtliche Scheiben beschlagen und wir müssen erst einmal die Heizung auf maximale Leistung drehen, um wieder klare Sicht zu bekommen. Land und Küste versinken nun bei Dauerregen und feuchte geschwängerter Luft unter dichten Nebelbänken. Jetzt folgen wir gerne einmal der Tunnelstrecke in Richtung Porto Moniz, um dem Regen wenigstens zeitweise aus dem Wege zu gehen.
Unser Weg führt uns zunächst nach Osten in Richtung Hafenanlage, Hubschrauberlandeplatz und Seeaquarium. Froh, endlich wieder trockenen Fußes frische Luft atmen zu können, vermag uns das Aquarium nicht in seinen Bann zu ziehen. Im Außenbereich erkennen wir jedoch ein weiteres Charakteristikum dieses Landstrichs.
Die nördlich der Bebauungsgrenze einsetzende, wild zerklüftete Küste taucht hier nämlich nicht sofort in den Atlantik ab, sondern reckt ihre scharfkantigen Spitzen noch eine ganze Weile in die Höhe und bildet einige hundert Meter weit draußen im Atlantik sogar noch einmal eine kleine Insel aus.
Nordwestlich des Aquariums sind zwischen den Felsenensembles kleine Meerwasserbecken ausgebildet, deren Blaugrün sich herrlich von den schroffen, dunkelbraunen vulkanischen Relikten abhebt. Wo immer es möglich war, hat man die aus den Fluten aufragenden Felsgruppen durch Natursteinmauerwerk vom offenen Meer abgegrenzt, hat befestigte Wege angelegt, diese über kleine Brücken mit dem Festland verbunden und so ein naturnahes Meeresschwimmbecken erschaffen. Wenn die sommerliche Hitze das Wasser ordentlich aufgeheizt hat, bereitet es sicherlich großes Vergnügen entlang der Felswände auf verschlungenen Wegen seine Bahnen zu ziehen. Aber auch ein Spaziergang durch das Felsenlabyrinth und entlang der Bassins ist ein wirklich kurzweiliges Vergnügen, zumal Auf- und Übergänge an den etwas größeren Felsgruppen immer neue Einblicke gewähren.
Wir folgen der Rua Engeneiro Américo einige hundert Meter in westliche Richtung und erreichen eine kleine, hufeisenförmig ausgebildete Bucht. Die aus dem offenen Meer in diesen Trichter eindringenden Wassermassen nehmen mächtig Fahrt auf und erzeugen Brecher, die mit großer Wucht gegen die steil aufsteigenden Felswände schlagen, um schließlich auf den Geröllfeldern auszulaufen. Dabei schäumt das Wasser, als würde es kochen und überzieht die kleine Bucht mit einem weißen Schaumteppich.
Unterhalb der Bucht beschreibt die Küstenlinie einen halbkreisförmigen Bogen. Auch hier ragen zwischen einer ganzen Reihe von kleineren Meerwasserbassins wieder zahlreiche Felsenensembles über die Wasserlinie, sodass man ein zweites und noch etwas größeres Meerwasserbecken eingerichtet hat, das wegen der geringen Wassertiefen gerne von Familien genutzt wird.
Den Ort müsste man sich einmal im Sommer, zu einer touristischen Hochzeit und bei strahlendem Sonnenschein ansehen, da könnten wir so mancher Ecke deutlich mehr abgewinnen, für heute aber haben wir genug von dieser kalten und feuchten Tristesse und verlassen Porto Moniz in Richtung Ponta do Pargo.
Kaum liegt die Ortsgrenze hinter uns, geht es sofort wieder auf den weit ausgreifenden Serpentinen der ER 101 hinauf in die Berge. Während des Aufstiegs hat man immer wieder schöne Ausblicke auf Porto Moniz. Im unteren Teil des Aufstiegs sind Wälder ausgebildet, die sich mit zunehmender Höhe jedoch schnell wieder lichten. Im Erdgeschoss dieser aufgelockerten Bewaldung haben sich Farne großflächig ausgebreitet, die im Frühling sicherlich den ganzen Landstrich mit einem herrlichen Grün überziehen. Jetzt aber präsentieren sie sich in einem garstigen Braun, das immerhin einen schönen Kontrast zu den dunkelbraunen bis schwarzen Stämmen der Bäume, deren teils dunkelgrünen Kronen und fetten Gräsern am Rande der Straße bildet. Noch bevor wir den Ort Achadas da Cruz erreichen, zweigt die ER 110 in Richtung Paul da Serra ab und eröffnet uns nochmals eine Chance, endlich einmal das Hochland in Augenschein nehmen zu können.
Wenig hoffnungsvoll biegen wir auf die Bergstraße ein. Der Straßenbelag wird nun deutlich schlechter, das Umfeld beginnt sich einzutrüben und so rumpelt unser Muli gemächlich über die Piste. Zu beiden Seiten der Straße breiten sich zwischen lichten Wäldern und Unterholz Wiesen aus, auf denen hinter den Grauschleiern vereinzelte Kühe zu erkennen sind. Die immer dichter werdende Milchsuppe drosselt unsere Reisegeschwindigkeit schließlich auf 25 km/h. Unvermittelt stehen zwei Rindviecher mitten auf der Straße, wir können von Glück sagen, dass uns der Nebel ein so langsames Fortkommen aufgezwungen hat. Offensichtlich ist alles was hier oben kreucht und fleucht Straßenverkehrsteilnehmer. Das möchten wir uns dann bei den eingeschränkten Sichtverhältnissen doch nicht antun und drehen um.