Do., 01.11.2018, Marrakesch, 219 km
Der Morgen empfängt uns mit strahlendem Sonnenschein. An den Fahrtagen sehen wir zu, dass wir zeitig aufstehen, aber heute sind wir entspannter, weil das Hotel in Marrakesch bereits vorgebucht ist. Spannender wird es sein durch Marrakesch dorthin zu kommen, da kommt wohl noch etwas auf uns zu. Doch das soll uns jetzt nicht belasten.
Ganz gemütlich treten wir mit unseren Rollkoffern den heute etwas weiteren Weg zu unserem Fahrzeug an, das inzwischen schon ganz schön Dreck angesetzt hat, davon abgesehen aber weiterhin in tadellosem Zustand ist.
In Essaouira ist uns aufgefallen, dass die hier umherfahrenden Kaleschen, im Gegensatz zu anderen Städten überwiegend von Einheimischen und nicht von Touristen genutzt werden. Man sieht sie deshalb auch höchst selten in der Medina, dafür aber umso öfter in der Neustadt. Offensichtlich stellen Einheimische auch weniger hohe Ansprüche an ein gepflegtes Gefährt, günstig muss es sein, das ist das wichtigste. Auch wenn die Kutschen also nicht so prächtig herausgeputzt sind, wie wir das aus Marrakesch kennen, muss Michael natürlich einige Fotos machen, man weiß ja nie, wie man die noch einmal verwenden kann.
Beim Auszug aus Essaouira orientieren wir uns wieder am Dünenrand, erreichen ohne Umwege ein erstes Hinweisschild nach Marrakesch und bewegen uns dabei scheinbar wie auf Schienen in die richtige Richtung. Das jedenfalls signalisieren uns zahlreiche Kilometermarkierungen. Die Straße ist größtenteils 4-spurig ausgebaut und in ganz ordentlichem Zustand. Selbst die Seitenstreifen sind meist ausreichend, um mal anzuhalten und ein Foto zu machen. Hier lässt es sich wunderbar Auto fahren. Auch wenn zweispurig bis zu 100 km schnell gefahren werden darf, nehmen Radfahrer, Lastenesel, Pferdekutschen und Fußgänger wieder wie selbstverständlich vom Seitenstreifen Besitz und wir können uns nur immer wieder wundern, wo die, weit ab der Städtchen eigentlich herkommen und wo sie hinwollen. Weit und breit ist jedenfalls ein für uns kein erkennbares, lohnendes Ziel in Sicht. Die Landschaft ist ähnlich öde wie zwischen Meknès und Casablanca oder östlich der Küstenstraße nach El Jadida, wo ja auch nur der Küstenstreifen das Auge erfreuen konnte.
Unterwegs sehen wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite Ziegen auf einem Baum stehen. Solche Bilder sieht man in jeder gut sortierten Postkartensammlung in allen Städten Marokkos. Also drehen wir an der nächstmöglichen Stelle, denn der Mittelstreifen ist überwiegend unbepflanzt und das Erdplanum nicht zu tief, um es zu überwinden. Nach Regeln fragt hier sowieso niemand und es ist kaum Verkehr.
Als wir näher kommen sehen wir, dass die Straße etwa 3 m höher als das angrenzende Gelände liegt und am Fuß der Böschung unter einem Baum mehrere Männer sitzen. Die Ziegen stehen da wie festgenagelt, fressen aber gar nicht, was ja üblicherweise deren Grund für das Besteigen von Bäumen ist. Stattdessen verharren sie, ohne zu murren und ohne dass sie jemand antriebe, auf ihrer Position. Entweder sind sie dressiert oder es macht ihnen schlicht nichts aus längere Zeit in einer Position auf einem schmalen Baumpfad herumzustehen. Vielleicht werden sie auch belohnt, wenn sie eine ausreichende Zahl von Touristen angelockt haben, das ist jedenfalls ihre eigentliche Funktion, denn es geht wie üblich wieder einmal ums Geld. Der Standort ist im näheren Umfeld offensichtlich auch bekannt, denn während wir schauen, kommen noch zwei kleine Touristenbusse, um sich die Ziegen anzusehen. Zum Einsammeln schicken die Männer einen kleinen Jungen hoch auf die Straße, in der Hoffnung, dass das die Geldbörsen der Touristen etwas weiter öffnet.
Wir fahren weiter und sehen einige von Frauen betriebene Kooperativen, die Arganöl verkaufen. An einer halten wir an, um uns einzudecken. Für 2 x 200 ml blechen wir 40 €, dafür sind wir sicher, dass wir keinen Müll angedreht bekommen, denn im Vorhof zum Verkaufsraum ist die Produktion zu besichtigen. Jede Nuss wird einzeln von Hand aufgeschlagen und dann dem ebenfalls händisch betriebenen Mühlstein übergeben. Das sind alles Arbeiten, die vor noch nicht allzu langer Zeit auch bei uns durchgeführt worden, wenn auch nicht mit Argannüssen.
Unglaublich, mit welcher inneren Gelassenheit die Frauen den größten Teil des Tages die immer gleiche Arbeit verrichten. Wie angenehm oder unangenehm die Arbeit empfunden wird, ist eine Frage, woher man kommt und wohin man geht. Und die Frauenkooperativen sehen sich wohl auf dem Weg aus einer Jahrhunderte währenden Abhängigkeit, da erscheint manches in einem anderen Licht.
Weiter geht es in Richtung Marrakesch. Auf der vierspurigen Straße ist kaum Verkehr. Nur einige wenige Städtchen zwingen uns zu langsamer Fahrt, die Landschaft bleibt öde, kaum irgendetwas Aufregendes, das einen Fotostopp oder gar einen Abstecher lohnen würde und so haben wir nach knapp drei Stunden die etwa 170 km Strecke bis Marrakesch zurückgelegt und bewegen uns nun auf die Vororte der Großstadt zu.
Das ständige Drängeln und der Kampf um jeden Meter, vor allem aber die Disziplinlosigkeit, dass sich weder Fußgänger noch Fahrzeugführer an Regeln halten, führen am Rand der Medina, die wir nördlich umfahren wollen, zu vollkommenem Stillstand. Trotz grüner Ampel tut sich überhaupt nichts. Die Kreuzungen sind zugestellt, wildes Gehupe von allen Seiten. Meter für Meter arbeiten wir uns vor, bis wir endlich den Knotenpunkt gemeistert haben. Das ist allerdings nur ein schwacher Trost, den nach der Kreuzung ist vor der Kreuzung und das heißt 45 Minuten Kampf bis wir endlich in die nördlichen Vororte abbiegen können und sich alle Staus in Luft auflösen.
Während wir die ganze Zeit recht gemütlich unterwegs waren, wird es nun wieder ungemütlich. An den Ampeln stauen sich die Fahrzeuge, zwischen diesen schlüpfen von links und rechts Mopeds und Fahrradfahrer hindurch. Solange der Verkehr steht, ist das alles noch ganz unkritisch, aber in dem Moment wo die PKW anfahren wird es manchmal echt gefährlich, weil sich die Zweiradfahrer überschätzen. Ist ein schmaler Seitenstreifen für Mopeds vorhanden, wird dort von den PKW auf der eigentlich zweispurigen Straße möglichst noch eine dritte Spur aufgemacht, um vorwärtszukommen, sobald der Verkehr dann aber wieder rollt, möchte man natürlich wieder zurück auf die Straße, insbesondere wenn rechts Busse oder Taxen oder Lieferverkehr die Fahrbahn blockieren. In Marrakesch wird Auto gekämpft und nicht gefahren. Wir sind noch nicht einmal richtig in der Stadt und schon schweißgebadet. Aber es klappt schon besser als beim letzten Mal, man muss einfach die Ruhe bewahren und im Zweifel, so man sie denn rechtzeitig sieht, den anderen die Vorfahrt lassen, die haben in der Regel weniger zu verlieren.
In marokkanischen Städten haben viele Ampeln Sekundenanzeigen, die sowohl die Zeit bis zur nächsten Rot- als auch zur nächsten Grünphase herunterzählen. Wenn dann die Rotphase nur noch 4 bis 5 Sekunden anzeigt, fahren viele Marokkaner bereits los, da wir aber so erzogen sind erst bei Grün loszufahren, handeln wir uns regelmäßig Hupkonzerte unserer Hinterleute ein, die sich gegenüber den benachbarten Fahrzeugen benachteiligt sehen. Kritisch sind auch Kreisel, weil nicht Spur treu gefahren wird. In den Kreisel hinein kommt man meist ganz gut, wenn auch nicht immer zu erkennen ist, wer die Vorfahrt hat. Die Herausforderung kommt, wenn man diesen wieder verlassen möchte. Wir haben uns in der Regel immer am äußeren Rand des Kreisels bewegt, um zu vermeiden, dass uns rechts einer in die Seite fährt.
Dass unsere Unterkunft etwas abgelegen ist, wussten wir. Aber dass es nun richtig in die Prärie geht, ist uns doch ein wenig unheimlich, wo wir uns doch immer noch unweit der Neustadt befinden. Zum Glück haben wir schon zu Hause einen Fluss als Orientierungshilfe ausmachen können, den wir jetzt tatsächlich auch gefunden haben. Wir folgen der Uferstraße in nördliche Richtung und gelangen immerhin schon einmal in die Nähe unseres Domizils. Der letzte Kilometer wird noch einmal spannend, weil wir mangels Beschilderung einfach nur nach Gefühl fahren können. Die Straße ist eng, beschreibt einige Kurven, die Sicht ist schlecht und der Gegenverkehr geht grundsätzlich davon aus, dass er freie Fahrt hat. Da heißt es zweimal die Luft anhalten. Aber es ist zum Glück wenig Verkehr, die Straße hat kaum Abzweigungen und so sind wir am Ende erfolgreich und stehen vor einem Schild mit der Aufschrift All Green House.
Die letzten 50 m der Zuwegung sind extrem schmal, zwischen zwei hohen Mauern passt gerade so ein PKW, für einen Kleinlaster wird es schon eng. Der Weg ist schmutzig und wir ahnen nichts Gutes, obwohl wir eine ganze Reihe Fotos gesehen haben, die anderes nahelegen. Das Tor ist verschlossen, Angelika zwängt sich zwischen Fahrzeug und Stampflehmwand ins Freie und betätigt eine Klingel. Nach zwei Minuten öffnet ein Angestellter das Tor und weist uns einen Parkplatz unweit unserer Unterkunft zu. Mit der Zufahrt sei man alles andere als glücklich, sagt er. Beim Erwerb des Grundstücks sei ringsum nur ungenutztes Land gewesen. Dies habe sich inzwischen geändert und die Grundstückseinfriedungen der Nachbarn hätten nun diese enge Zufahrt entstehen lassen, weshalb der Eigentümer überlege eine neue Zufahrt an anderer Stelle anzulegen.
Als wir uns nach dem ersten Smalltalk einmal umschauen, sehen wir tatsächlich jene grüne Oase, die sich auf den Fotos im Netz erkennen ließ. Im Gegensatz zum lärmenden und Abgas geschwängerten Zentrum von Marrakesch ist das hier ein Hort der Ruhe. Der Eigentümer ist laut seines Angestellten Landschaftsarchitekt und hat seine ganze Geschicklichkeit in das eigene Gelände investiert.
Die Unterkünfte sind in einem Flachbau untergebracht. Die Zimmer sind nicht allzu groß, ganz gemütlich eingerichtet, die sanitären Anlagen funktionieren einigermaßen. Mangels Belegung dürfen wir uns sogar ein Zimmer aussuchen und sind am Ende mit unserer Auswahl auch ganz glücklich. Wir nehmen unser Zimmer in Besitz, machen uns frisch und sind schon wieder startklar.
Da wir dieses Mal nur eineinhalb Tage in Marrakesch verbringen werden, dabei zwei Gärten, die südliche Medina und den Djemaa el Fna besichtigen wollen, haben wir uns entschieden gleich am ersten Tag den Jardin Majorelle zu besuchen. Dieser Garten liegt wie unsere Unterkunft im Norden der Stadt, wir müssen also nicht noch einmal durch das ganze Verkehrschaos und haben lediglich eine Fahrtstrecke von etwa 1,5 km.
Im Umfeld des Gartens befindet sich eine „bessere Wohngegend“ in der man getrost sein Fahrzeug abstellen kann, wenn man bereit ist ein paar Meter zu laufen. Das machen wir denn auch, um dem Rummel in der Rue Yves Saint Laurent aus dem Wege zu gehen. Nach 10 Minuten Fußweg stehen wir vor dem Eingang. Leider ist die Zeit schon ganz schön fortgeschritten und uns bleiben nur noch etwa 1,5 Stunden für die Besichtigung. Das klingt viel für einen nur 4.000 m² großen Garten. Aber der Jardin Majorelle ist so facettenreich, dass man da auch einen halben Tag verbringen kann.
Der Garten wurde ursprünglich vom französischen Maler Jacques Majorelle Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts angelegt und halb verwildert, in den Achtziger Jahren vom Modedesigner Yves Saint Laurent wiederentdeckt und instandgesetzt. Wir waren 2011 erstmals in dem Garten und waren begeistert vom Gesamtkunstwerk, was wirklich etwas heißen will, denn Michael ist kein ausgewiesener Gartenfreund.
Der Garten ist inzwischen noch schöner als beim letzten Besuch und wir sind sehr froh, dass wir uns entschlossen haben, trotz der wenigen Zeit nochmals vorbeizuschauen. Den Garten müssen wir hier nicht näher beschreiben, weil viele Details unseren Fotos zu entnehmen sind. Wichtig ist vielleicht zu erwähnen, dass der Garten ziemlich gehypt wird. Das heißt, jeder Reiseveranstalter, der Marrakesch auch nur einen Tag besucht, versucht den Garten in sein Programm zu quetschen. An manchen Tagen werden dann zwischen 09:00 und 15:00 Uhr unzählige Busladungen durch den Garten geschleust und das ist dann schon nicht mehr schön. Wie das dann mit dem Fotografieren aussieht, kann sich jeder ausmalen.
Ein lustiges Erlebnis hatten wir noch gegen 17:00 Uhr, als der Garten geschlossen wurde und die Parkwächter die Besucher, die partout nicht weichen wollten, wie eine Schafherde zusammentrieben, wobei es einzelnen Schafen immer wieder gelang auszubüchsen, um noch ein Foto und noch ein Foto und noch ein Foto zu machen. Dass Michael eins der Schafe war, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden. Immerhin quittierten die Herren die ganze Aktion mit einem Lächeln und so hatten alle Beteiligten ihren Spaß an dem Viehtrieb.
Ohne es zu wissen, haben wir übrigens alles richtig gemacht, denn wir konnten nach dem Ticketerwerb direkt in den Garten rein. Hotelnachbarn, die das am folgenden Morgen versuchten, mussten 2 Stunden anstehen, um da hineinzukommen. Chapeau! Das hätten wir uns nicht angetan.
Ein hübsch gestaltetes Gebäude, unweit des Jardin Majorelle.
Brunnen mit der Koutoubia Moschee im Hintergrund.
Parkanlage mit der Koutoubia Moschee im Hintergrund.
Die Koutoubia Moschee.
Der Djemaa el Fna bei Nacht. Der Djemaa el Fna ist der zentrale Marktplatz in Marrakesch. Die Bedeutung des Namens ist umstritten. Im Arabischen heißt Djemaa el Fna etwa Versammlung der Toten. Dieser Name rührt daher, dass die Sultane zur Zeit der Almohaden den Platz als Hinrichtungsstätte nutzten und aufgespießte Köpfe hier zu Schau stellten (Wikipedia).