Užupis

Am späten Samstagvormittag treffen wir uns mit Claire auf dem großen Platz vor der Kathedrale von Vilnius. Auf unserem Weg dorthin kommen wir am Litauischen Nationalen Dramatheater vorbei, das mit dieser gelungenen Eingangspforte in der Gedimino pr. 2A-1 auf sich aufmerksam macht. Von hier aus können wir schon den Glockenturm der Kathedrale sehen, gleich sind wir am Treffpunkt.

Von der Kathedrale geht es nun hinüber in den Stadtteil Užupis. Zu diesem Stadtteil der Künstler und Alternativen kann uns Claire eine ganze Menge erzählen. Leider kann Michaels Computer die Fülle an Informationen nicht ausreichend schnell verarbeiten und so müssen wir zu Hause mühsam nacharbeiten, was uns von unserer Reiseführerin schon vor Wochen mitgeteilt wurde.

  

Užupis ist ein Stadtteil am Rande der Altstadt von Vilnius. Der Name bedeutet „jenseits des Flusses“ ( = hinter, upė = Fluss). Es handelt sich dabei um den Fluss Vilnia, der der Stadt Vilnius ihren Namen gibt. Užupis ist mit ca. 0,6 km² ein kleiner und abgeschlossener Stadtteil. Auf drei Seiten wird es durch den Fluss von der Altstadt getrennt, auf einer Seite gibt es steile Berge und in der sowjetischen Zeit entstandene Industriegelände. Es gibt das Užupis-Gymnasium mit dem besonderen Bildungsschwerpunkt Deutsch. 

 

Der Stadtteil wurde früher mehrheitlich von Juden bewohnt. Erst im 16. Jahrhundert wurden die ersten Brücken über den Fluss geschlagen. 1810 wurde der Bernhardiner-Friedhof errichtet. Ein großer Teil der ursprünglichen Bevölkerung kam während des Holocausts um, der jüdische Friedhof wurde von den Sowjets zerstört. Die leer stehenden Häuser wurden von Kriminellen, Obdachlosen und Prostituierten besetzt. Vor der litauischen Unabhängigkeitserklärung 1990 war der Stadtteil ziemlich vernachlässigt, viele Häuser hatten weder Strom noch sanitäre Anlagen. 

 

In den 1990er-Jahren hat sich der Stadtteil grundlegend geändert. Aus dem Viertel ist ein begehrtes Wohnquartier für die städtischen Künstler und ihre Bohème geworden. Hier gibt es zahlreiche Kunstgalerien, Workshops und Cafés. Mitunter wird Užupis mit dem Künstlerviertel Montmartre in Paris verglichen, mit dem auch eine Partnerschaft besteht.

 

Infolge des Aufkaufs vieler Häuser durch Investoren und des Zuzugs von Geschäftsleuten und Künstlern wurden die Bewohner von Užupis, darunter viele Arbeiter, Inhaber kleiner Läden und andere „einfache Leute“, aus ihrem Viertel verdrängt. Užupis wurde zu einem Szeneviertel und einem Touristenziel, in dem der Prozess der Gentrifizierung vollendet ist. Gentrifizierung: Verdrängung einkommensschwacher Haushalte durch einkommensstarke Haushalte in innerstädtischen Quartieren.

In Užupis waren wir insgesamt an drei Tagen. Dem entsprechend sind auch die Fotos an ganz unterschiedlichen Tagen entstanden. Die Anordnung der Fotos auf dieser Unterseite entspricht der Zuwegung von unserem Übernachtungsparkplatz. Den Ausflug mit Claire haben wir genutzt, um lohnende, aber noch fehlende Objekte abzulichten. So wurde unser Besuch in Užupis zu einer runden Sache. Von unserem Übernachtungsplatz im Osten von Vilnius bis zur Užupis-Brücke sind es übrigens ca. 1,40 Kilometer. Das ist eine Wegstrecke, die sich gut zu Fuß bewältigen lässt (Quelle: OpenStreetMap, Lizenz CC-BY-SA 2.0). 

Passage in der Užupio gatve 24 mit der Design & Art Gallery KALVE, Užupio gatve 24-4 im Stadtteil Užupis. 

Passage in der Užupio gatve 24 im Stadtteil Užupis.

Häuserzeile im unteren Teil der Užupio gatve im Stadtteil Užupis.

Cannabis-Boutique in der Užupio gatve im Stadtteil Užupis.

Der Engel von Užupis (Standort Užupio gatve) wurde in Erinnerung an Zenonas Šteinys, den Schutzpatron des Bezirks Užupis, geschaffen. Als es dem Bildhauer Romas Vilčiauskas nicht gelang, die Skulptur bis zur geplanten Enthüllungszeremonie fertigzustellen, wurde anstelle der Skulptur ein Ei platziert. So heißt es also, der Engel von Užupis sei aus einem Ei geschlüpft. Die Skulptur wurde 2002 zum fünften Jahrestag der Unabhängigkeit des Bezirks Užupis errichtet.

Užupis, östlich der Altstadt von Vilnius gelegen, wird von drei Seiten vom Fluss Vilnia umschlossen (Quelle: OpenStreetMap, Lizenz CC-BY-SA 2.0). 

Diese Stichstraße führt auf Höhe der Užupio gatve 1 zu einem Hinterhof, in dem eine Galerie, ein Café und der Užupis Art Incubator untergebracht sind. 

Hier kann jeder, der sich berufen fühlt, die Wand vollkrickeln und der Welt die wichtige Botschaft übermitteln, dass er da war. 

Wie wir bei unserem dritten Besuch der Location feststellen konnten, wird das Problem des irgendwann fehlenden Platzes recht profan durch einen neuen Anstrich gelöst. 

Streetart im Užupis Art Incubator. Schön bunt, so hat Michael das gerne. 

Der Užupis Art Incubator ist der erste und einer der größten Kunstinkubatoren in den baltischen Staaten. Hier wohnen und arbeiten bildende Künstler und Fachleute der Kreativwirtschaft zusammen. Die 1500 m² große Fläche beherbergt lokale und internationale Residenzen, Workshops und Bildungsräume sowie eine Ausstellungsgalerie; mehr als 30 Künstler und Künstlerinnen und Start-ups aus der Kultur- und Kreativwirtschaft sind hier gleichzeitig untergebracht. Die durchschnittliche Dauer einer Residenz beträgt 3-5 Jahre. 

Schön gestalteter Hinterhof mit Café unweit Užupis Art Incubator.

Das Büro der "Grenzkontrolle" an der Užupis-Brücke.

Ein Gruß aus der Freien Republik Užupis geht an unseren Enkel. Vielleicht besucht der in 20 Jahren auch mal die Stadt und denkt dann an uns. 

Die „Staatsgrenze“ von Užupis an der Užupis-Brücke.

Die Užupis-Brücke mit Schaukel über dem Gewässer. Ein wenig unkonventionell sind sie hier an allen Ecken. Uns gefällt so etwas, denn wir sind selbst ein bisschen bekloppt. 

Auch diese beiden Stühle in der Vilnia erfreuen sich großer Beliebtheit. 


Streetart unweit des Tibetplatzes.

Streetart am Tibetplatz: Der Tibet-Platz in der Malūnų gatve im Stadtteil Užupis dient als symbolische Plattform, um die Solidarität mit Tibet zum Ausdruck zu bringen und das Bewusstsein für seine politische und kulturelle Situation zu schärfen. Sie wurde 1996 gegründet und zu Ehren Tibets und seines anhaltenden Kampfes um Autonomie und Kulturerhalt benannt. Der Platz ist mit tibetischen Symbolen wie Gebetsfahnen und buddhistischen Gebetsmühlen geschmückt und zeigt Szenen aus dem tibetischen Leben. Der Dalai Lama höchst selbst besuchte 2018 den Tibet-Platz anlässlich des Jahrestages der Wiederherstellung der litauischen Staatlichkeit und pflanzte einen symbolischen Apfelbaum.